Siebzehnter Juni

Siebzehnter Juni
Siebzehnter Juni,
 
Datum des v. a. von Industriearbeitern in den Großstädten und Industriezentren ausgelösten spontanen (Arbeiter- und Volks-)Aufstandes gegen das Parteiregime der SED in der DDR 1953, auch Juniaufstand genannt; aus einem lohnpolitischen Konflikt erwachsene erste und (bis 1989) mächtigste Protestbewegung gegen die Politik des SED-Politbüros und der von der SED getragenen Regierung, sichtbarster Ausdruck für eine Krise in der DDR 1952/53.
 
Im Rahmen des auf der II. SED-Parteikonferenz (Juli 1952) verkündeten Aufbaus des Sozialismus beschloss der Ministerrat der DDR am 28. 5. 1953 eine Erhöhung der Arbeitsnormen für Industriebetriebe bis Ende Juni um generell 10 %, was eine reale Verminderung des Arbeitslohns bewirkt hätte. Nachdem am 9. 6. 1953 das SED-Politbüro den »Neuen Kurs« beschlossen hatte und das FDGB-Organ »Tribüne« diese Regelung am 16. 6. 1953 bestätigte, formierten sich die Bauarbeiter der Stalinallee in Berlin (Ost) zu einem Demonstrationszug zum »Haus der Ministerien« (Sitz der Regierung). Mit dem Marsch von etwa 12 000 Beschäftigten des Stahl- und Walzwerkes Hennigsdorf am 17. 6. zum Regierungsviertel weitete sich die Demonstration zu einer Bewegung aus, die mehr als 250 Orte, darunter alle Industriezentren und Großstädte, v. a. Leipzig, Halle (Saale), Bitterfeld, Magdeburg, Jena und Gera, erfasste. An verschiedenen Orten bildeten sich Streikleitungen, die jedoch untereinander keine Verbindung herstellen konnten. Die Demonstranten besetzten Rathäuser, Gemeindeämter, SED-Kreisleitungen, Dienststellen des MfS und der Volkspolizei und öffneten Gefängnisse. Neben das Verlangen nach Herabsetzung der Normen und Senkung der allgemeinen Lebenshaltungskosten traten Forderungen nach Rücktritt der Regierung und Abhaltung freier, geheimer Wahlen (mit Blick auf die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands). Nach Verhängung des Ausnahmezustandes durch den sowjetischen Stadtkommandanten in Berlin (Ost) sowie in 167 der 217 Stadt- und Landkreise der DDR schlugen im Verlauf des 17. 6. sowjetische Truppen den Aufstand nieder (offiziell 51 Tote, bis 30. 6. 1953 6 200 Verhaftete). Streiks und Demonstrationen gab es aber in mehr als 560 Orten noch nach dem 17. 6.; eine neue Streikwelle im Juli 1953 (Höhepunkt: Buna-Werke Schkopau, 15.-17. 7.) erfasste v. a. die Dörfer. Über die Zahl der insgesamt getöteten Zivilpersonen gibt es immer wieder neue Angaben; bis gegen Ende der 60er-Jahre wurden (in der Bundesrepublik Deutschland) 21 vollstreckte Todesurteile nachgewiesen und 1 386 zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilte Demonstranten festgestellt. Nach Auswertung ab 1990 zugänglicher Materialien wird inzwischen von mindestens 125 Todesopfern (48 standrechtlich Erschossene) ausgegangen. - In der Geschichtsschreibung der DDR galt der Aufstand des Siebzehnten Juni 1953 als »konterrevolutionärer, faschistischer Putsch(versuch)«. In der Bundesrepublik Deutschland wurde der 17. 6. nach dem Gesammelten vom 4. 8. 1953 als »Tag der deutschen Einheit« zum nationalen Feiertag (1953-90); seit 1990 gilt er als »Nationaler Gedenktag des deutschen Volkes«.
 
 
17. Juni 1953. Arbeiteraufstand in der DDR, hg. v. I. Spittmann u. K. W. Fricke (21988);
 M. Hagen: DDR - Juni '53. Die erste Volkserhebung im Stalinismus (1992);
 
Der Tag X - 17. Juni 1953. Die »innere Staatsgründung« der DDR als Ergebnis der Krise 1952/54, hg. v. I.-S. Kowalczuk u. a. (21996).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Deutschland: Teilung Berlins und Deutschlands bis 1955
 

Universal-Lexikon. 2012.

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